Die Freiheit »hat« man nicht – wie irgendetwas,
das man auch verlieren kann, sondern die Freiheit »bin ich«.
Krisen erhöhen die Komplexität schlagartig. Jeder, der schon einmal eine solche Situation hatte, weiß das. Steigt im Lebensalltag die Komplexität an, zum Beispiel, weil man bestimmte Kompetenzen zur Bewältigung von Aufgaben nicht hat oder weil die Informationsmenge stark steigt, dann gelingt die Bewältigung meist mit ‚Vertrauen‘. Als Beispiel dafür kann die Lebenslage eines berufstätigen Paares angesehen werden, das parallel zum Beruf ein Haus baut. Schnell wachsen die Informationen von und über Gewerke zu einem Berg an Details heran, den die Bauherren nur dadurch herabregeln können, indem sie den von ihnen beauftragten Handwerkern Vertrauen schenken. Geschieht dies anfänglich ohne hinreichende Prüfung der erwarteten Kompetenzen, durch Gutgläubigkeit oder auch durch ein naives Verständnis der Themen, so kann dies im Fiasko enden. Ist jedoch – präventiv – ein gutes Maß an Einschätzung des Könnens der Dienstleister entwickelt worden, so kann nun das gerechtfertigte Vertrauen zur Verringerung der individuellen Lasten genutzt werden.
‚Auf was kann ich noch vertrauen?‘ – hört man einen Satz wie diesen, dann spiegelt er die Verzweiflung wider, wenn das Fiasko eingetreten ist und eine unerwartete, auf das eigene Lebensmodell zerstörerisch einwirkende Krise erlebt wird. Sicher ganz ‚falsch‘ wäre nun die Reaktion, nichts und niemandem mehr zu vertrauen – so menschlich eine solche Reaktion auch sein mag. Bedenkt man aber, dass bei aller Katastrophe sich die Welt einfach weiterdreht und sich die anfängliche Anteilnahme, die einem andere Menschen in Krisensituationen schenken, oftmals recht schnell wieder endet, dann wird klar, dass es immer um die Selbstmotivationskräfte des Betroffenen geht, wieder aus eigenem Antrieb und eigener Steuerung auf die Beine zu kommen. Dies wird zwar oft als zu überfordernd, zu kalt, zu unmenschlich empfunden und beklagt - dennoch: zu wissen, letzten Endes alleinverantwortlich für die Schaffung neuer Bedingungen und eines neuen hinreichend stabilen Zustandes zu sein, verhilft dazu, sich aus dem vom Brennglas der Krise geworfenen Licht zu entfernen und – wenn auch erst unscharf – wieder die Konturen der ’trotz allem noch heilen Lebensbereiche‘ sehen zu können.
In der Unschärfe, die in Krisen zum Beispiel versprachlicht wird mit: ‚ich weiß nicht so recht, wie es weitergehen kann …‘, ‚mir fehlt die Phantasie, daran zu glauben, dass ich wieder Freude im Leben erfahren werde …‘ usw., wird ein ’neues Nachdenken über sich‘ erforderlich. Wer bin und bleibe ich ‚trotz der Krise‘, welche Verantwortung gilt es nun für mich zu übernehmen? Welche trotz oder durch die Krise entstandenen, neuen Strukturen können mir helfen, wieder Vertrauen zu schöpfen? Welche Strukturen sind nicht betroffen und können von mir genutzt werden und erhalten mir ein Gutteil an Berechenbarkeit?
In der Unschärfe das Neue wahrzunehmen, es meist nicht mit Worten fassen zu können und dennoch auf dieses Neue zu vertrauen – das klingt solange utopisch, wie es keine Anknüpfungspunkte gibt, dieses Neue in die individuelle, kulturelle Tradition zu integrieren. Diese ‚Selbstkultur‘ des Menschen besteht aus einem einzigartigen Set an aufgebauten Beziehungen, Interessen, Bräuchen und Gebräuchen, Lernformen, Selbstverständlichkeiten, Distanzierung und Hingezogensein … diese Selbstkultur ist wie ein persönlicher Blumenstrauß, in dem bislang sich versteckende Pflanzen nun, als Folge einer Krise, eine neue oder erstmalige Sichtbarkeit erfahren können. Andere bleiben trotz ihrer erlebten Vergänglichkeit in Erinnerung, der ganze Strauß wird neu gebunden, einzelne Pflanzen erhalten einen neuen Platz – aus sich selbst heraus gewinnt der Strauß seine neue, vielleicht unerwartete, kreative aber nach wie vor auch der eigenen Tradition verpflichtete Form.
Eine Krise wird aus dieser Perspektive zu einer entscheidenden Wendung im Kontext der selbstkulturellen Tradition. Der individuelle Strauß an Lebensblumen, den der Mensch in seiner Hand hält, ihn verantwortet, ihm nun Teile zwar entrissen sieht und dennoch das verbleibende Gebilde in eine neue Form bindet, das anschlussfähig bleibt an die individuelle Selbstkultur.
Das Institut für individuelle Krisenprävention forscht in diesem Zusammenhang an der Bedeutung des persönlichen Wertesystems als dem zentralen Aspekt einer ‚Selbstkultur‘ im Kontext der Bewältigung extrem belastender Lebenssituationen. Sie möchten dazu mit uns ins Gespräch kommen? Gerne empfangen wir Sie dazu in unseren Räumen in Augsburg.